Jan Vermeire im Tübinger Orgelsommer (Schwäbisches
Tagblatt, Juli 2012)
Tübingen. Solch eine Programm-Zusammenstellung wünscht
man sich in einem Festival wie dem Orgelsommer: eine vielseitige und
stilsichere Bandbreite, ohne in ein beliebiges Häppchen-Büffet oder eine
demonstrative Leistungsschau umzuschlagen. Der 1968 geborene Jan Vermeire,
Titularorganist an der Liebfrauenkirche auf den Dünen im flandrischen Koksijde,
künstlerischer Leiter zweier renommierter belgischer Orgelfestivals, wurde am
Donnerstag in St. Johannes mit minutenlangem Beifall gefeiert. Unter seinen
Händen klang die Rieger-Orgel so einzigartig, als kenne er das Instrument seit
Jahrzehnten.
Zunächst begann Vermeire auf der neuen Truhenorgel der
Johannesgemeinde. Ein ideales Instrument für Jan Sweelincks Variationen über
„Onder een linde groen“ („Unter einer Linde grün“). Denn der Nachbau von Jürgen
Kopp mit seinen sommerlich heiteren Holzpfeifen orientiert sich just an
frühbarocken Kleinorgeln aus der Zeit des europäischen Orgelvaters Sweelinck.
Dieselbe unglaublich tiefenscharfe Durchhörbarkeit erzielte
Vermeire auch an der großen Kirchenorgel mit ihren über 40 Registern. Bach
Präludiums und Fuge D-Dur BWV 532 war ein Meisterstück: ein vertikal
durchgebildeter Klangaufbau, vollendet ausgewogen und minutiös aufeinander
bezogen, so dass zwischen den Klangschichten Raum blieb und sich im
Wechselspiel die einzelnen Registerfarben entfalten konnten.
Jede Registerkombination überraschte und überzeugte sogleich
mit den ersten Tönen, war originell, ohne manieriert zu wirken. In Bachs Choralbearbeitung
„An Wasserflüssen Babylon“ ließ Vermeire archaisch-bukolisch Gems-, Krumm- und
Nachthorn wehklagen. Bei Bachs Duetto in G verflochten sich verschiedene
Flötenregister, jede Stimme mit derselben Sorgfalt geführt.
Die Nummer 5 aus Villa-Lobos‘ „Bachianas Brasileiras“ spielte
Vermeire in einer Bearbeitung von Camil Van Hulse. Im Original eine Sopran-Arie
mit Celli-Begleitung, unterscheiden sich dort Melodie und Begleitrhythmen schon
allein durch ihre Klangfarbe. Auch wenn Vermeire die Melodie mit Voix céleste-Register
heraushob, ließen sich hier die Schichten nicht immer ganz so einfach sortieren.
Als Hommage an den anwesenden Tübinger Komponisten Jan
Janca spielte Vermeire dessen „Intrade, Elegie und Sortie“. Janca, der 2013
seinen 80. Geburtstag feiert, war von 1971 bis 1996 Organist an St. Johannes. Die
drei Stücke in französischer Orgeltradition potenzierten sich in ihrer
gegensätzlichen, suggestiven Farbigkeit. Fluktuierende Klangprozesse mit
allmählichen Umfärbungen, Wellenbewegungen in überlagerten Farbtemperaturen, feierliche
Fanfaren-Motive.
Durchaus als wesensverwandt konnte man die Suite
„Mariales“ des französisch-libanesischen Zeitgenossen Naji Hakim hören. Die
fünf Sätze sind auf gregorianischen Mariengesängen aufgebaut: interreligiöse
und interkulturelle Weltmusik. Zuletzt zwei gelungene „Rausschmeißer“: „En el
silencio de la noche“ und „El dia de fiesta“ von Noel Goemanne, der hier Populäres
und Toccatenhaftes kurzschließt. Und ein Organist, der auf allen Gebieten
gleichermaßen begeistert. ach
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